Geschichte

Jiu Jitsu in Japan

Der Ursprung des ju-jutsu (jiu-jitsu) geht vermutlich bis auf die indische Massagekunst zurück, welche über hundert schmerz- und lebensempfindliche Stellen des Körpers kennt. Von Indien kam diese Kunst dann nach China und wurde um 1650 in Japan eingeführt.

Über die Geschichte und Entstehung des Jiu Jitsu gibt es mehrere Legenden. Eine davon lautet so:

Ein japanischer Arzt, Akijama Shirobei Yoshitoki, machte auf seiner Studienreise durch China auch in einigen buddhistischen Klöstern halt. In einem davon wurde er auf eine Selbstverteidigungskunst aufmerksam gemacht, welche die Mönche dort entwickelt hatten. Er blieb längere Zeit und eignete sich die Griffe und Tricks an. Zurück in Japan musste er bei deren praktischer Erprobung aber feststellen, dass zu ihrer Ausführung eine größere Körperkraft notwendig war und dass diese Techniken in dieser Form kaum ausgeführt werden konnten. Eines Wintertages beobachtete er in seinem Garten folgendes Geschehen:

Der schwere, nasse Schnee brach bei einem spröden Kirschbaum durch seinen Druck viele Äste ab. Auf einer biegsamen Weide jedoch glitt der Schnee ab und die Weide richtete sich wieder unverletzt auf. Aus dieser Beobachtung leitete der Arzt das Prinzip „Siegen durch Nachgeben“ ab und stellte seine Kunst auf diese neue Philosophie ein. Er gab ihr den Namen Jiu Jitsu – die „sanfte Kunst“.

Bereits in der Kamakura Periode (1185-1333) wurde als Bestandteil des bujutsu eine waffenlose Technik entwickelt, damit sich auch entwaffnete Krieger noch mit allen zur Verfügung stehenden Mittel verteidigen konnten.

Auch in einigen anderen Schriftstücken tauchen Hinweise auf waffenlose Kampftechniken auf, so dass es gut denkbar, ja sogar wahrscheinlich ist, dass das uns heute bekannte Jiu Jitsu verschiedene Wurzeln hat, die sich gegenseitig beeinflussen.

Aus vielen Dokumenten geht aber hervor, dass die eigentliche Entwicklung des Jiu Jitsu zu den später weit verbreiteten Formen etwa ab Mitte des 17. Jahrhunderts begann. So gab es zu jenem Zeitpunkt in Japan bereits 725 dokumentierte Schulen für Jiu Jitsu.

Zu dieser Zeit wurde auch ein einheitlicher Codex für ju-jutsu festgelegt, dessen Grundprinzip war, den Feind mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und unter minimalem Kraftaufwand zu bekämpfen.

Folgende Prinzipien wurden dabei als wichtig angesehen:

Man muss in der Lage sein

– die Kraft der gegnerischen Attacke abzuschätzen und dieselbe gegen Tori anzuwenden.
– im Zuge der Konfrontation den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen.
– einer Attacke, wenn möglich, zu entkommen.
– selbst angreifen zu können, ohne notwendigerweise Toris Schwachpunkte zu erreichen.
– einen Gegner mittels Hebelanwendung werfen zu können.
– einen Gegner mittels Hebel- oder Würgetechniken am Boden fixieren zu können.
– die gegnerischen Vitalpunkte derartig schlagen zu können, dass es dadurch zu Bewusstlosigkeit, schweren Verletzungen oder sogar zum Tod kommt.

Ju-jutsu wurde ursprünglich ganz im Sinne des bushido-Codex entwickelt, mit einem klaren Verhaltenscodex als Hintergrund. Im Laufe der Zeit wurde es aber als effiziente und aggressive Offensivtechnik auch von den Ninja (Agenten und Spione) und Banditen eingesetzt. Dies mag einer der Gründe für die mancherorts schlechte Reputation des ju-jutsu sein, die es bis heute nicht gänzlich verloren hat.

Jiu Jitsu in Europa

Man kann davon ausgehen, dass Jiu Jitsu 1892 zum ersten Mal nach Europa kam und zwar nach England.

TAKASHIMA SHIDACHI, Sekretär der Londoner Bank von Japan trat am 29. April in London an die Öffentlichkeit mit der Yoshin Ryu des Jiu Jitsu.

Vorführungen des neuen Sportes erregten anfangs noch Misstrauen, wurden doch starke Männer durch einen Kunstgriff scheinbar mühelos besiegt. Derartige Kämpfe wurden als Schwindel abgetan; man mutmaßte Schiebungen und Absprachen. Erst durch Herausforderungen großen Stils an starke Leute, Boxer und Ringer, die auf Grund des im Falle einer Niederlage eintretenden Imageverlustes über jeden Verdacht erhaben waren, konnte das Interesse an Jiu Jitsu geweckt werden.

In Deutschland gründete der am 1. Mai 1885 in Berlin geborene ERICH RAHN im Jahr 1906 mit 21 Jahren die erste Jiu Jitsu Schule. Bemerkenswerte Tatsache ist, dass diese Schule noch heute in Berlin, Hohenzollerndamm 111, existiert.

Jiu Jitsu heute

Heute wird Jujutsu in drei Hauptzweige klassifiziert:

1. Die klassischen japanischen Systeme. Sie halten sich strikt an die Tradition und lehren die Techniken der alten Zeit.

2. Ein Zweig neueren Datums, der sich Goshinjutsu oder auch Nihon Goshinjutsu nennt. Seine Techniken sind von modernen Systemen wie Judo, Karate und Aikido beeinflusst

3. Systeme, die von Nichtjapanern gegründet wurden und Gaijin Goshinjutsu genannt werden. Sie sind nicht an die Tradition gebunden und entwickeln eigene Konzepte, Prüfungsverfahren und Graduierungen.

Jujutsu oder Jiu Jitsu wird heute als moderne Selbstverteidigungsmethode unter vielen Bezeichnungen geübt. Es handelt sich jedoch immer um dieselbe Kampfkunst, während diese Methoden Stilrichtungen im großen Umfang des Jujutsu sind.

Ju-jutsu bildet die Basis beinahe aller Techniken, die in heutigen Kampfsportarten verwendet werden. Es versteht sich zwar als „sanfte Kunst“, war aber von seinem Konzept her untrennbar mit moralischen und weltanschaulichen Grundsätzen verbunden. Wenn auch Yorimotos Grundsätze der Ehre und Loyalität, die strikten japanischen Wertbegriffe des bushido Codex in dieser Form nicht dem Wesen eines modernen Westeuropäers entsprechen, so sind auch wir in einem Weltbild eingebettet und haben unsere moralischen Wertbegriffe.

Wenn wir das nicht vergessen und danach handeln, können wir jiu-jitsu durchaus als das verstehen und erfahren, was es vom Konzept her ist. Nämlich eine Übung für den „Ernstfall“ (heutzutage vielleicht als Selbstverteidigung zu definieren), der hoffentlich nie kommen möge.